Dienstag, 13. Oktober 2015

Transparente gegen Mega-Rinderanlage

Die Gegner der geplanten Milchviehanlage bei Keez drücken ihren Unmut nun auch auf Transparenten an der Bundesstraße 104 aus. Wie die Aufschriften verdeutlichen, machen sie gegen die Größe des Vorhabens mobil. 2280 Jersey-Milchkühe, bis zu 600 Kälber und 169 Färsen sollen Platz finden sowie dazu zwei Gülle/Gärrestlager in Thurow und Neu Necheln errichtet werden. 

Im Gegensatz zu einer Nacht-und-Nebel-Aktion im Juni vorigen Jahres, als auf sechs Bäume zu beiden Seiten der Straße mit roter Farbe Andreaskreuze sowie Buchstaben, die den Namen Kuhpon ergaben, geschmiert waren, wird die Auseinandersetzung nun inhaltlich geführt. Die Transparente waren zum Wochenende auf einmal da, von wem auch immer angebracht. Doch so unvermittelt, wie sie auftauchten, waren die an der Einfahrt nach Keez gestern Vormittag verschwunden, von wem auch immer abgenommen...

Mittwoch, 7. Oktober 2015

Riesenstall mitten im Naturpark

In Keez soll Westmecklenburgs größte Milchviehanlage gebaut werden – trotz Protests und erwartbaren Umweltbelastungen

Sie hat den Stall bereits klar vor Augen: „Dort hinten wird das Stallgebäude stehen, das Melkhaus, die Silos für das selbst produzierte Futter, eingebettet in die Landschaft“, sieht sich Dagmar Laugwitz schon über den Hof gehen. Ein anderer Kuhstall als herkömmliche soll dort entstehen, 360 Meter lang, so lang wie das größte Kreuzfahrtschiff der Welt, die „Allure of the Seas“ – „mit einer Fassade, die von Pflanzen bewachsen ist“, schwärmt die Prokuristin des Agrarhofes Brüel. Noch allerdings ziert Wintersaat den künftigen Baugrund entlang der Bundesstraße 104 zwischen Brüel und Schwerin. Doch Laugwitz ist sich sicher: Ende des Jahres werde das Staatliche Amt für Landwirtschaft und Umwelt grünes Licht geben – für einen der umstrittensten neuen Kuhställe in MV in Keez.
 
Nicht kleckern, klotzen: Dort, wo Linden und Eichen der engen schützenswerten Keezer Allee mit ihrem zusammengewachsenen Kronendach künftig den Verkehr der riesigen Futterwagen kaum aufnehmen können, dort, in Sichtweite des malerisch gelegenen Keezer Sees in der Hügellandschaft des Sternberger Seenlandes, will die Managerin im Auftrag einer der reichsten Familien der Niederlande nahe des 60-Seelen-Dorfes Keez einen der größten Kuhställe im Nordosten bauen – mitten im Naturpark Sternberger Seenland mit Platz für 2280 Jersey-Milchkühe, 600 Kälber und 169 zuchtreife Jungtiere.

Längst hätte das Milchvieh im Stall stehen sollen: Seit drei Jahren liefen inzwischen die Planungen, erinnert sich Laugwitz. Entweder investieren angesichts der sanierungsbedürftigen Ställe im Firmenverbund der niederländischen Eignerin Fanja Pon, oder Ausstieg aus der Milchproduktion: Die Entscheidung sei für eine neue Jersey-Rinderherde gefallen – genügsamer als herkömmliche Rinderrassen, zwar mit weniger Milchleistung, aber besseren Inhaltsstoffen: Mehr Fett, mehr Eiweiß in der Milch – ein Vorzug beim Verkauf an die Molkereien in Zeiten ohne Milchquote, glaubt Laugwitz. 12 bis 15 Millionen Euro steckt Großbäuerin Pon, Enkelin des Ideengebers des VW-Bulli Ben Pon, in den Mega-Stall. 51 Jobs, Millionenaufträge für Firmen aus der Region, wirbt der Brüeler Agrarhof für das Projekt – die Investitionsentscheidung kann in der Region dennoch nicht alle überzeugen.

Protest am Melkstand: Während Umwelt- und Tierschützer, Bio- als auch konventionelle Bauern, Wissenschaftler und Agrarpolitiker auf die Einführung von Obergrenzen in der Tierhaltung pochen, lässt Pon den Riesenstall in die mecklenburgische Provinz klotzen – dazu ein Europa-Vermarktungszentrum für Jersey-Rinder in Brüel, eine Besucherplattform am Milchviehstall, Biogasanlagen, die Strom für 700 Haushalte liefern sollen. Die Dimension lässt Einwohner in der Region sich an die ehemalige 2000er-Milchviehanlage aus DDR-Zeiten im nahen Leezen am Ostufer des Schweriner Sees erinnern, als Kleinkinder in der Gegend wegen hoher Nitratbelastung das Trinkwasser nicht nutzen sollten. „Nicht vergleichbar“, wiegelt Laugwitz ab – neue Technik, neue Verfahren, höherer Umweltschutz, 1800 Hektar Acker, auf dem die weniger belastenden Gärreste ausgebracht werden.

Die Sorgen nimmt Dagmar Laugwitz den Anwohnern damit nicht: So viel Gülle, tausende Kubikmeter Jahr für Jahr – „das bringt doch das Grundwasser in Gefahr“, fürchtet Heike Abraham aus dem nahen Golchen – von der Geruchsbelästigung ganz zu schweigen. Bereits heute seien immer wieder Schaumkronen auf dem Keezer See zu sehen, beobachtet Heidemarie Bemelmans – „alles von der Gülle“, meint die Anwohnerin in Keez. Schneller, höher, weiter: Ein völlig überdimensionierter Stall zur falschen Zeit, kritisiert auch Grünen-Landtagsabgeordnete Jutta Gerkan den Stall. Während mit dem Wegfall der Milchquote die Bauern über Milchseen klagen, würden in Keez zusätzliche Kapazitäten aufgebaut.

Pikant: Inzwischen mahnt selbst einer, der von Berufs wegen für neue Stallanlagen in MV wirbt. Angesichts der Krise auf dem Milchmarkt müsse ein solcher Megastall im Naturpark überdacht werden, fordert Jörg Brüggemann, Anwohner im nahen Thurow und Chefberater der landeseigenen LMS Agrarberatung in MV. Vor allem das im Zusammenhang mit dem Stall geplante Gärrestelager nahe Thurow führte für den Ort zu kaum vertretbaren Belastungen, meint der Agrarexperte. Vorschläge, das Lager zu verlegen, seien vom Investor aber abgelehnt worden.

Der Frust wächst: Im eigenen Land werde holländischen Investoren der Betrieb großer Anlagen erschwert, MV aber sehe zu, wie immer neue große Anlagen entstünden, meinen Anwohner.

Die Belastungen sind absehbar: Der Keezer Stall sei 23-mal größer als es die Landesbauordnung erlaube, kritisiert Corinna Cwielag, Landeschefin des Bundes für Umwelt und Natur (BUND): „Die Brandschutzauflagen können nur mit Ausnahmen erfüllt werden.“ Überhaupt seien die Umweltwirkungen größer, als von den Investoren berechnet. So sei mit mindestens 50 000 Kubikmeter Gülle im Jahr zu rechnen. Die Investoren hätten allerdings zweifelhafte Gülleberechnungen vorgelegt, mit denen die Menge mindestens 25 Prozent zu niedrig angesetzt worden sei, wirft Cwielag dem Agrarhof vor. So würden bei den kleineren Jersey-Rindern unzulässigerweise geringere Güllemengen angenommen als bei herkömmlichen Milchviehrassen. Davon kann keine Rede sein, wehrt Agrarhof-Prokuristin Laugwitz die Vorwürfe ab: „Bauern sind keine Raubritter. Sie sind daran interessiert, dass die Umwelt erhalten bleibt.“

Trotz der Proteste macht sich Hilflosigkeit breit: Viele glauben angesichts des neues Einflusses der Millionenfrau aus Holland nicht mehr so recht daran, das Projekt noch beeinflussen zu können. Die Region bekommt die Kapitalmacht zu spüren: Längst kehrt rings um Brüel der Großbesitz zurück. Reich geworden mit dem Autohandel für den VW-Konzern, inzwischen Berichten zufolge auch in der Schifffahrt und im Energiesektor aktiv, erweitert die Pon-Familie in der Region Brüel ihren Einfluss. Eine Reihe Betriebe haben die finanzkräftigen Holländer inzwischen rund um Brüel und darüber hinaus aufgekauft – drei Agrarbetriebe in Brüel, Kaarz und Groß Raden, dazu ein Schloss in Kaarz, ein Reitstall in Vorbeck, ein Golfplatz. Das beeindruckt offenbar: Die Stadtvertretung Brüel hat zu Jahresbeginn ihre eigenen ablehnenden Beschlüsse von einst zugunsten der Großbäuerin gekippt – plötzliches Einvernehmen für den Mega-Stall. Überzeugungsarbeit sei geleistet, Ängste abgebaut worden, erklärt sich Laugwitz die neue Entscheidung. Überhaupt, für sie ist klar: Der neue Stall in Keez, „angemessen“ sei er.