Bernd Zimmermanns Vater hat bis 1960 durchgehalten. Dann gab er dem
ständigen Druck nach und trat mit seinem 56-Hektar-Hof bei Grevesmühlen
in die Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft (LPG) ein. Nach der
Wiedervereinigung musste Zimmermann
60 000 D-Mark berappen, um von der LPG die heruntergewirtschafteten
Gebäude zurückzubekommen. Angeblich hatte die LPG hohe Schulden. „Vorher
waren aber 600 Kühe und 500 Säue über Nacht verschwunden“, berichtet
Zimmermann. Folker Hachtmann
musste als junger Pfarrer in Lüssow 1960 miterleben, „wie der letzte
Großbauer brutal um sein Eigentum gebracht wurde“. Die Frau des Bauern,
so Hachtmann, wurde deportiert.
Wenn Politiker heute von den „gewachsenen Strukturen“, also den
großen Flächen und den großen Betrieben, sprechen, um die Erfolge der
Landwirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern zu erklären, empfinden Leute
wie Zimmermann oder Hachtmann die Wortwahl angesichts des verübten
Unrechts in der DDR-Agrarpolitik als verharmlosend. Die
Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Anne Drescher, lud in der
vergangenen Woche zur Konferenz nach Güstrow ein, um „die andere Seite
des ,Arbeiter- und Bauernstaates‘“ beleuchten zu lassen.
„Gewachsen“ seien die ostdeutschen Agrarstrukturen ganz und gar
nicht, sagte Drescher und zitierte den Bürgerrechtler Michael Beleites.
Laut dem verdanken sich diese Strukturen „der blanken Gewalt und der
flächendeckenden Zwangsmaßnahmen einer menschenverachtenden Diktatur“ –
erst die keineswegs demokratische Bodenreform, dann die Kollektivierung,
dann die überzogene Industrialisierung.
Zudem war ein beachtlicher Teil der DDR-Landwirtschaft 1989
wirtschaftlich am Ende, was die Stasi brav nach Berlin meldete. 1988
beklagte sich das Volkseigene Gut (VEG) Blankenheim beim Zentralkomitee
der SED über fehlende Investitionen. Sein wichtigstes Industrialisierungsmittel sei immer noch „die Schubkarre“. Der Historiker Jens Schöne
fand den Bericht in den Stasi-Akten. Bereits Anfang der 1980er-Jahre
sei die Landwirtschaft „auf einem Tiefpunkt“ gewesen, so Schöne. Die
Ernten waren vielerorts mäßig, die Maschinen mangels Ersatzteilen
zerschlissen, die Gebäude verfielen und Arbeitskräfte fehlten wegen
zunehmender Landflucht.
1981 legte zum Beispiel die Stasi Rathenow einen erschütternden
Bericht vor. Es fehlte an Kraftfutter, es fehlte an Fachwissen und
Engagement. Der Hang zum Alkohol grassierte. Der Schwarzmarkt etablierte
sich, einerseits weil die Genossenschaften zum Wohle des Betriebes etwa
Ferienplätze gegen Mähdrescher eintauschten, andererseits weil
LPG-Leiter in die eigene Tasche wirtschafteten. Eine 1984 verordnete
Kursänderung in der Agrarpolitik verteuerte Investitionen. Zudem bekamen
die Genossenschaften für ihre Erträge mehr Geld vom Staat. Das brachte
vor allem manchen schwächelnden Tierzuchtbetrieben nichts. Sie konnten
sich Investitionen nicht leisten. Schöne berichtete aus
Stasi-Unterlagen, wonach hier das Vieh von einstürzenden Ställen
erschlagen wurde, dort das Geflügel wegen einer geplatzten Wasserleitung
ertrank oder anderenorts die Agrarflieger giftige Pflanzenschutzmittel
über Kleingärten versprühten.
Die Stasi stellte längst „verdächtige Aktivitäten“ selbst unter den
Leitungskadern in der Landwirtschaft fest, die vom „Lamentieren“ bis zur
„Panikmache“ reichten. Schöne: „Man hat den Eindruck, die Dörfer
flehten die Partei an: ,Tut endlich etwas!‘“. Aber die SED war mit ihrem
Latein am Ende.
Die Historiker Mario Niemann und Michael Heinz erinnerten an den
Zwang, mit dem viele Bauern in die Genossenschaften getrieben wurden.
Nachdem die erste Welle der Kollektivierung 1952 nur mäßigen Erfolg
hatte, rief sie 1959/1960 den „sozialistischen Frühling“ auf dem Land
aus. „Ganze Brigaden rückten den Bauern aufs Fell, belagerten sie
tagelang mit Lautsprecherwagen“, berichtete Heinz.
Das hat Karl Mewis, erster Sekretär der SED-Bezirksleitung Rostock,
in einem aufgezeichneten, aber nie gesendeten Interview 1973 unumwunden
zugegeben: „Es hat Dörfer gegeben, die wurden von Arbeitern der
Industrie und anderen Bauern, die schon in den Genossenschaften waren,
regelrecht umstellt. Man ging von Haus zu Haus und hat agitiert und ist
nicht weggegangen, tagelang, bis sich alle entschieden haben. Das war
mehr als moralischer Druck.“ Es war dieser Druck, dem auch der Vater von
Bernd Zimmermann nachgeben musste.
Quelle: http://www.svz.de/mv-uebersicht/mv-panorama/maehdrescher-gegen-ferienplaetze-id11162741.html